EVP-Grossrat Ruedi Löffels Blog

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10 Jahre rot-grüne Regierung im Kanton Bern – (m)eine Bilanz

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Heute geht im Kanton Bern die Zeit der „Cohabitation“ zu Ende: 10 Jahre lang regierte im Kanton Bern eine rot-grüne Mehrheit. Sie stand während dieser Zeit des Öftern im Richtungsstreit mit der Grossratsmehrheit. Was wäre mit einer anderen Regierungsmehrheit anders, was  ähnlich gelaufen?
Die Zeitung „Der Bund“ hat am 27. Juni Bilanz gezogen und mich dazu um einen Beitrag gebeten. Nachfolgend meine persönliche Bilanz zur „Cohabitation“.

Gesetze, Gesetzesänderungen, Budget wie auch alle wichtigen Kreditgeschäfte werden vom Grossen Rat beschlossen. Die politischen und finanziellen Leitplanken des Kantons setzt also ganz klar das Parlament. Die Regierung ihrerseits kann Prozesse anstossen, Themen priorisieren, Vorschläge einbringen und hat in der Umsetzung von Parlamentsbeschlüssen einen relativ grossen Spielraum.

Rückblickend lassen sich aus meiner Sicht wenige Punkte benennen, die ganz eindeutig auf die etwas spezielle politische Konstellation zurückzuführen sind.

Hier ein paar Themen, wo die rot-grüne Regierungsmehrheit sichtbare Spuren hinterlässt:

  • In finanz- und steuerpolitischen Fragen ist es der Regierung einige Male gelungen, die Forderungen und Entscheide des Grossen Rates abzufedern oder zu verzögern.
  • Das Lohnsummenwachstum für das Personal wäre mit einer anderen Regierung vermutlich tiefer ausgefallen.
  • Dass in der Energiepolitik die Themen erneuerbare Energie und Effizienz im Zentrum stehen, wurde durch die rot-grüne Regierungsmehrheit begünstigt. In der Kantonalen Energieverordnung zum Beispiel ist die Handschrift der Regierung zu erkennen.
  • So paradox es klingen mag, aber im Gesundheits- und Sozialbereich hat der Grosse Rat Entscheide gefällt, die möglicherweise mit einer anderen Regierung milder ausgefallen wären. Einige Male schien es, als hätte die Parlamentsmehrheit einzig aus Opposition gegenüber Regierungsrat Perrenoud gehandelt.

 

Widersprüchliche und überhöhte Erwartungen

Gesprächsklima und Diskussionskultur zwischen Regierung und Parlament wären vermutlich mit anderen Mehrheiten in einigen Fällen höflicher und konstruktiver gewesen. Namentlich im Bereich Gesundheit und Soziales wurde teilweise stark auf den Mann gespielt, was wenig zielführend war. Gewisse Geschäfte wären ohne Cohabitation allenfalls schneller zu einem Abschluss gekommen. Dies sagt jedoch nichts aus über die Qualität der Entscheide.

Vorwürfe und Schuldzuweisungen an die Adresse der Regierung deuteten in einigen Fällen weniger auf eine Blockade zwischen Regierung und Parlament hin, als auf die Unfähigkeit der Grossratsmehrheit, die teilweise widersprüchlichen oder überhöhten Erwartungen und Bedürfnisse der eigenen Klientel zu erfüllen. Dies gilt namentlich für das Hickhack in der Spitalpolitik.

Eine bleibende Erinnerung ist die Erarbeitung und Verabschiedung des ASP-Sparpaketes im November 2013. Da fanden Regierung und Parlament nach langem Hin und Her einigermassen gemeinsam einen Weg zur vorläufigen Stabilisierung des Finanzhaushaltes.

 

Stadt-Land-Graben herbeigeredet

Die rot-grüne Regierung stand in den Augen vieler Grossratsmitglieder als Sinnbild für die Anliegen und Ansichten der städtischen Kantonsgebiete. Dies führte in Fragen wie Umsetzung der Verwaltungsreform, Spitalstandorte, ÖV, Motorfahrzeugsteuern oder in der Diskussion um die Fachhochschulen dazu, dass ein Stadt-Land-Graben herbeigeredet und teilweise bewusst als Oppositionsmittel eingesetzt wurde. Dies war der Entwicklung des Kantons Bern eher nicht zuträglich. Andererseits haben die unterschiedlich gelagerten Mehrheiten bei sehr wesentlichen Geschäften wie beispielsweise der Diskussion um die Pensionskassen, bei den  Löhnen des Staatspersonals  oder jüngst beim Baugesetz nach zähem Ringen zu tragfähigen Lösungen geführt. Solche Beispiele zeigen, dass es durchaus positiv sein kann, wenn gangbare Wege hart erarbeitet werden müssen und nicht immer im Vornherein klar ist, dass Parlament und Regierung die gleichen Ideen und Schwerpunkte wichtig sind.

 

Regierung hat viele Zugeständnisse gemacht  

Die Cohabitation hat das System aus meiner Sicht nicht wirklich verändert. Die rot-grüne Regierung hat in den 10 Jahren ihres Bestehens viele Zugeständnisse gemacht und sich weitgehend am Machbaren orientiert. Ob und wie weit dies immer ganz freiwillig geschah, ist von aussen schwer zu beurteilen.
Mit der Parlamentsrechtsrevision sollte die Arbeit des Parlamentes gestärkt und qualitativ verbessert werden. Durch die Zunahme der interkantonalen und internationalen Verflechtung ist dies schlicht nötig, um dem Grossen Rat minimale Einflussmöglichkeiten zu erhalten. Einen direkten Zusammenhang mit der Regierungszusammensetzung sehe ich nicht.

 

In wichtigen Fragen die Hände gebunden

Dass sich Regierungsmitglieder primär mit den teilweise sehr anspruchsvollen und komplexen Themen ihrer Direktion befassen, liegt in der Natur der Sache. Eine Schuldzuweisung an die Regierungsmehrheit bezüglich gewisser Probleme in der GEF lässt zum Beispiel in der Spitalpolitik ausser Acht, dass die Grossratsmehrheit dem zuständigen Regierungsmitglied punkto Einflussnahme in wichtigen Fragen die Hände gebunden hat.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eher die Feststellung, dass die zahlreichen Probleme in der POM (Thorberg, Migrationsamt, Stades de Bienne usw.) für den verantwortlichen Regierungsrat relativ glimpflich über die Bühne gingen.

 

FAZIT: 10 Jahre rot-grüne Regierung haben dem Kanton Bern sicher nicht geschadet. In einigen wichtigen Geschäften führte die Cohabitation zwar zu harten und teilweise langen Auseinandersetzungen, aber kaum zu Entscheiden, die sich für unseren Kanton nachteilig auswirken werden. So hat beispielsweise die ausgewogene Finanz- und Steuerpolitik die aus dem Dialog zwischen Regierung und Parlament resultierte, den Kanton vor Problemen bewahrt, wie sie in anderen Kantonen durch übermässige Steuersenkungen entstanden sind.

Mit Blick auf die kommenden Jahre bin ich nun sehr gespannt, wie die Parlamentsmehrheit den Vorschlägen der Regierung zu heiklen und umstrittenen Themen begegnen wird. Eins ist sicher: Für Misserfolge und Führungsprobleme kann ab sofort nicht mehr die rot-grüne Regierung verantwortlich gemacht werden…

 

Ruedi Löffel, Grossrat EVP (seit 2002)

Written by Ruedi Löffel

30. Juni 2016 at 17:30

Niemand mag Listenverbindungen

with 2 comments

Niemand mag Listenverbindungen – ein transparentes und gerechtes Wahlsystem existiert und müsste (auch vom Kanton Bern) nur eingeführt werden!
Es gehört zu den Grundpfeilern der Demokratie, dass alle Stimmberechtigten über die gleiche Stimmkraft verfügen und denselben Einfluss auf ein Wahlresultat haben sollten. Das einfache Prinzip „ein Mensch – eine Stimme“ wird kaum jemand ernsthaft in Frage stellen. Von seiner Einhaltung hängt ganz wesentlich ab, ob ein Wahlsystem und damit auch eine Staatsform als gerecht empfunden werden. Umso mehr erstaunt es mich, dass diesem Prinzip ausgerechnet in der Schweiz, die sich gerne als Hort und Wiege der direkten Demokratie rühmt, nur mangelhaft nachgelebt wird – auch im Kanton Bern wo Ende März gewählt wird.
Ein Blick auf die Resultate der letzten drei bernischen Grossratswahlen zeigt, dass die beiden grössten Parteien regelmässig mehr Sitze erhalten, als ihnen aufgrund ihres Stimmenanteils zustehen würden. Die SP hätte gemessen am Stimmenanteil im Jahr 2010 Anrecht auf 30 Grossratssitze gehabt, tatsächlich aber 35 Sitze besetzt. Nach den Wahlen 2006 war die SP mit 4 Sitzen übervertreten und bei den Wahlen 2002 erhielt sie im Verhältnis zum Stimmenanteil 5 Sitze zu viel.
Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Betrachten der SVP-Wahlresultate: Im Jahr 2002 wären ihr stimmenmässig 64 Sitze zugestanden, gewonnen hat sie aber 67. Auch nach den Wahlen 2006 war die SVP mit 3 Grossratsmandaten übervertreten. In der laufenden Legislatur sitzt gemessen am Stimmenanteil ein SVP-Vertreter zu viel im Rat.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Wahlzettel einer SVP-Wählerin oder eines SP-Wählers im Kanton Bern regelmässig mehr Gewicht erhält, als jener von kleineren Parteien.
Wie ist so etwas möglich?
Die Problematik ergibt sich aus dem aktuellen Proporz-Wahlsystem, welches bei der Verteilung der Restmandate die grossen Parteien klar bevorteilt. Um dieses Manko etwas auszugleichen, existiert das Instrument der Listenverbindungen. Niemand mag sie. Sie sind ein rein rechnerisches Mittel, um die Benachteiligung kleinerer Parteien ein wenig auszugleichen.
Eine ungerechte Verteilung von Parlamentssitzen müsste nicht sein und wird eigentlich von der Bundesverfassung klar abgelehnt. Artikel 34 Absatz 2 verlangt nämlich, dass kein Wahlergebnis anerkannt werden darf, das nicht den freien Willen der Wählenden unverfälscht zum Ausdruck bringt.
Ein faires und gerechtes Wahlverfahren, das allen Parteien eine Vertretung gemäss ihrem Stimmenanteil ermöglicht, ist bekannt und in der Praxis erprobt: Der sogenannte „doppelte Pukelsheim“ ist zum Beispiel in den Kantonen Zürich, Aargau oder Schaffhausen bereits erfolgreich eingeführt. Als angenehmer Nebeneffekt sind bei diesem Wahlverfahren die ungeliebten Listenverbindungen überflüssig, weil jede abgegebene Stimme im ganzen Kanton genau gleich viel Gewicht erhält.
Es ist nicht akzeptabel, kleineren Parteien wissentlich und willentlich noch länger eine gerechte Vertretung im Grossen Rat zu verwehren. Bei zukünftigen Grossratswahlen soll deshalb gelten: „Ein Mensch – eine Stimme“. Das bedeutet, dass auch im Kanton Bern so bald wie möglich das Proporz-Wahlsystem „doppelter Pukelsheim“ eingeführt werden muss.
Ruedi Löffel, Grossrat EVP
(Nach einem Beitrag im «Wahltag»-Blog der online-Zeitung «Der Bund» vom 20. Januar 2014.)
PS: Die EVP wäre mit dem „doppelten Pukelsheim“ aktuell mit 9 statt mit 10 Personen im Grossen Rat vertreten. Eigennutz kann damit ausgeschlossen werden.

Written by Ruedi Löffel

1. Februar 2014 at 18:48